Raumluft­technik unter Pandemie­ge­sichts­punkten

Raumluft­tech­nische Anlagen (RLT-Anlagen) sind ein zentraler Bestandteil in Klinik-, Instituts- und Industrie­ge­bäuden und haben einen maßgeb­lichen Einfluss auf die Raumluft­qualität und den Energie­bedarf eines Gebäudes.

Welche Punkte bei der Planung und Ausführung von RLT-Anlagen unter Pandemie­ge­sichts­punkten besonders zu beachten sind, verraten Martin Hirschke, Technischer Leiter, und Eberhard Dux, Senior Berater, im Experten-Interview.

Welchen Einfluss hat die weltweite Covid-19 Pandemie auf die Planung von Raumluft­tech­nischen (RLT) Anlagen?

Martin Hirschke: Es müssen verschiedene Einflüsse betrachtet werden:

  • Ansteckungsrate
  • Aerosolbildung bei unterschiedlichen Tätigkeiten
  • Anzahl der infizierten Personen im Raum
  • Raumgröße und Volumen
  • Zusätzliche Schutzmaßnahmen wie z.B. Mund-Nasenschutz und Abstände

Eberhard Dux: Die wissen­schaftliche Forschung läuft parallel zur Entwicklung der Pandemie und ist dadurch noch nicht abgeschlossen. Für die Planung müssen zudem folgende Punkte beachtet werden:

  • Art der Lüftung (freie oder mechanische Lüftung)
  • Anlagentechnik und Luftströmung im Raum
  • Angesetzte Luftmengen und Luftwechsel
  • Systemischer Anlagenaufbau (Umluft- oder reine Außenluftanlagen)
  • Betriebszeiten der Anlagen

Wie sehen Sie den Zusammenhang zwischen Hygiene und Raumluft­tech­nischen Anlagen?

Martin Hirschke: Aufgrund der Erkenntnisse aus dem Pandemie­ge­schehen muss bei der Planung und Ausführung von RLT-Anlagen in Zukunft verstärkt der Fokus auf das Thema Raumluft­hygiene gelegt werden.

Eberhard Dux: Ja, denn es gibt bereits genügend Vorschriften, Richtlinien und Normen zur Raumluft­hygiene und Luftreinheit wie beispielsweise die VDI 6022.

„Es gibt bereits genügend Vorschriften, Richtlinien und Normen zur Raumlufthygiene und Luftreinheit wie beispielsweise die VDI 6022.“

Eberhard Dux, Senior Berater

Sollten die verschiedenen Richtlinien unter den Gesichts­punkten der aktuellen Pandemie verschärft werden?

Martin Hirschke: Grundsätzlich gibt es inzwischen ausreichend Rechen­modelle, die aber in der Praxis umgesetzt werden müssen. Wir verweisen hier z.B. auf die Arbeiten am Hermann-Rietschel-Institut durch Prof. Kriegel sowie auf die Arbeiten von Prof. Dr. Dirk Müller von der RWTH Aachen (Rheinisch-Westfä­lische Technische Hochschule Aachen).

In welchen Bereichen sehen Sie die Schwer­punkte zur Verbes­serung der Lufthygiene?

Martin Hirschke/Eberhard Dux: Ansatz­punkte sehen wir hier in den Bereichen der Planung, der Ausführung auf der Baustelle und insbesondere auch im laufenden Anlagen­betrieb. Hierbei müsste auf folgende Punkte eingegangen werden:

Für die Planung:

  • Reine Außenluftanlagen mit entsprechend hohen Wirkungsgraden der eingesetzten Wärmerückgewinnungssysteme, auch über die Anforderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) hinaus
  • Planung von Reinigungsöffnungen nach VDI 6022
  • Räume mit wechselnder Personenbelegung (z.B. Seminarräume, Konferenzräume, Klassenzimmer) grundsätzlich mit RLT-Anlagen ausführen
  • Anpassung der Volumenströme an Personenbelegung und Raumluftqualität
  • Einsatz von intelligenten Luftverteilsystemen
  • Umluftsysteme grundsätzlich vermeiden

Für die Ausführung:

  • Anstreben einer hohen Sicherheit auf der Baustelle
  • Verarbeitung der Komponenten, sodass keine Verschmutzung stattfindet
  • Sorgfältige und hygienekonforme Lagerung von Komponenten und Luftkanälen
  • Verschluss von Öffnungen bei Unterbrechung von Arbeiten
  • Luft ist ein Lebensmittel und die Kanäle sind die Verpackung

Und für das Betreiben:

  • Regelmäßige Reinigung von Komponenten und Filterwechsel
  • Konsequentes Anlagenmonitoring
  • Optimierung und Anpassung von Zeitprogrammen für bedarfsgerechte Raumluftmengen
  • Aufwand für Betrieb und Wartung wird steigen

Martin Hirschke: Generell kann man sagen, dass ein höheres Bewusstsein für das Lebens­mittel Luft von Nöten ist!

Außenansicht des Forschungsgebäudes IMBIT Intelligent Machine-Brain Interfacing Technology an der Freiburger Albert Ludwigs Universität
Projektreferenz IMBIT (Institute for Machine-Brain Interfacing Technology) an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg

Sind diese angeführten Anforde­rungen an zukünftige RLT-Anlagen nicht kontra­pro­duktiv zu den Klimaschutz­zielen?

Eberhard Dux: Bei intelli­genter Planung, Bau und Betrieb wird das nicht der Fall sein! An folgenden Beispielen möchte ich das erklären:

  • Eine bedarfsgerechte Lüftung zum Beispiel durch CO2-Regelung, bei der hohe Luftströme nur im Pandemiefall benötigt werden.
  • Die Kombination von RLT-Anlagen mit Heiz- und Kühlsystemen.
  • Hohe Auslegungsluftmengen sollten nicht dazu dienen, die RLT-Anlagen für eine Raumlastabfuhr (Heiz- und Kühllast) zu verwenden, sondern bedarfs- und situationsgerecht den hygienisch erforderlichen Luftwechsel im Raum sicherzustellen.

Martin Hirschke: Bei Räumen mit natürlicher Lüftung sind zwingend Kriterien aufzustellen, die hygienische und energe­tische Belange berück­sichtigen.

Sind Unterschei­dungen zu verschiedenen Gebäudearten und Gebäude­nut­zungen zu berück­sichtigen?

Eberhard Dux: Für die unterschied­lichen Gebäudearten werden sicher gleich­artige Raumluft­tech­nische Anlagen verwendet. Eine Differen­zierung beispielsweise zwischen Kliniken, Instituts­ge­bäuden und Produk­ti­ons­stätten im Detail ist aber notwendig. Es erfordert ein hohes Maß an speziellem Fachwissen und eine an die Gebäude­nutzung angepasste Planung.

Was erwarten sie noch von der Forschung?

Martin Hirschke: Generell zeigt sich, dass sich die Forschung im TGA-Bereich parallel mit dem Pandemie­ge­schehen entwickelt. Dies zeigen auch zahlreiche Veröffent­li­chungen zum Thema.

Eberhard Dux: Notwendig ist darüber hinaus, dass für die Praxis einfache Handlungs­emp­feh­lungen und Rechen­modelle zur Verfügung gestellt werden. Sicher werden hier auch Verbände sowie die Organi­sa­tionen für Richtlinien- und Normungs­arbeit verstärkt gefordert sein, diese Erkenntnisse auch zeitnah umzusetzen.

Als Ausblick ist aus Sicht von PGMM festzu­halten:

  • Luft und Wasser sind Lebensmittel und müssen genauso von allen Beteiligten behandelt werden.
  • Das Medium Luft und deren Aufbereitungsverfahren werden an Bedeutung gewinnen.
  • Im Klinikbereich darf nicht ausschließlich die Patientensicherheit für Systemauslegungen im Vordergrund stehen. Gute und behagliche Arbeitsbedingungen für das Personal (Temperatur, Feuchte, Luftgeschwindigkeiten usw.) sind mindestens genauso wichtig.
  • Vorhandene Normen sind grundsätzlich ausreichend und müssen gegebenenfalls punktuell aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse aus der Pandemie nachjustiert werden.
  • Bei der konsequenten Umsetzung der vorhandenen normativen Vorgaben in der täglichen Praxis gibt es aber noch ein nicht unerhebliches Verbesserungspotenzial.
  • Die Prozesse der Anlagenqualifizierung und das Inbetriebnahme-Management sowie die Bedienung, Optimierung, Wartung und Instandhaltung von Anlagentechnik werden zunehmend an Bedeutung gewinnen.
  • Die Anforderungen an die Qualifikation des technischen Personals (in Planung, Bau, Betrieb) werden weiter steigen.
„Generell kann man sagen, dass ein höheres Bewusstsein für das Lebensmittel Luft von Nöten ist!“

Martin Hirschke, Technischer Leiter Planungs­gruppe M+M AG

Innenansicht Zentrum für Angewandte Quantentechnologie an der Universität Stuttgart
Projektreferenz Zentrum für Angewandte Quantentechnologie an der Universität Stuttgart